Ich habe ausgezeichnet geschlafen und freute mich nach dem Aufstehen über das schöne Wetter. Der Parkplatz war gestern Abend fast leer und füllte sich jetzt am Morgen so langsam wieder. Während des Frühstücks konnte ich die vielen Leute beobachten, die hier ihr Fahrzeug parkten und entweder zur Arbeit gingen oder vielleicht ja auch, um mit irgendeiner der vielen Fähren zu verreisen.

Tallinn wurde bereits im Mittelalter gegründet und und bietet heutzutage mit etwa 430.000 Einwohnern einen gelungenen Mix aus Alt und Neu. Die Hauptstadt Estlands besitzt eine der weltweit am besten erhaltenen Altstädte aus der Hansezeit. Die Neustadt, auch nur ein paar Schritte von meinem Parkplatz entfernt, ist ähnlich kompakt wie die Altstadt und bietet als Geschäftszentrum moderne Hochhäuser, Luxushotel, trendige Stadtviertel und große Einkaufszentren. Neben dem riesigen Fähr- und Kreuzfahrtterminals findet man an der Ostseeküste auch superschöne Promenaden und tolle Strände, was den Freizeitwert dieser attraktiven Stadt ebenfalls bereichert.

Die Altstadt, die seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist in die so genannte Unterstadt mit dem Rathausplatz und dem Rathaus als Zentrum sowie den höher liegenden Domberg gegliedert; beides wollte ich mir heute ‘mal etwas genauer anschauen. Ich machte mich also auf den Weg; die Stadtmauer mit dem nördlichen Tor ist nur ein paar Gehminuten von meinem Parkplatz entfernt.

Die 14 bis 16 m hohe Stadtmauer, von der noch immerhin etwa 2 km erhalten sind, sowie 20 der ursprünglich 46 runden Wehrtürme verleihen der Stadt heute einen fast märchenhaft mittelalterlichen Charakter.

Ich betrat die Altstadt durch das nördliche Tor (Die große Strandpforte) mit seinem wehrhaften Geschützturm (Die Dicke Margarethe), der die Stadt vor Angriffen von der Seeseite aus beschützen sollte.

Im Inneren erwarten einen schmale, meist kopfsteingepflasterte Gassen und die vielen hanseatischen Kaufmannshäuser aus dem 16. Jahrhundert, an denen man sich kaum sattsehen kann.

Wie in Riga gibt es auch in Tallinn ein Schwarzhäupterhaus, was aber zurzeit leider komplett eingerüstet war und von dem man eigentlich nur das unten abgebildete Eingangsportal sehen konnte. Es wurde um 1597 im Stil der niederländischen Renaissance errichtet.

Die sehr hohe Anzahl an kleinen Läden, Galerien, Ateliers, aber auch Antiquitätenläden läddt immer wieder zum Anhalten und zum Stöbern ein; in Schaufenstern wie dem hier gezeigten z.B. muss man sich förmlich alle Gegenstände ganz genau ansehen! Auch dadurch fühlt man sich urplötzlich in eine ganz andere Zeit zurückversetzt, wenn auch nicht gleich ins Mittelalter… 😉

Auf dem sehr großen und zentral gelegenen Rathausplatz reiht sich ein Restaurant oder Café neben dem anderen; man hat die Qual der Wahl, wenn man sich eine Pause gönnen möchte.

Tallinns Rathaus, eines der Wahrzeichen der Stadt, zwischen 1402 und 1404 im spätgotischen Still erbaut.

Bei so einem einladenden Anblick kann auch ich nur selten widerstehen; es war mit etwa 8 – 9 Grad zwar nicht gerade warm, aber das Wetter war um diese Zeit immer noch sehr schön, sodass ich beschloss, hier eine kleine Mittagspause einzulegen, obwohl es eigentlich noch etwas zu früh dazu war. Genügend Hunger hatte ich aber schon… 😉

Ich bestellte neben einem erfrischenden Bier eine landestypische Soljanka, übrigens die erste in meinem Leben! Das war jetzt genau das richtige, wie ich kurz darauf feststellen durfte, absolut oberlecker!

Nach dem Essen erkundete ich weitere Gassen rund um den Rathausplatz und fotografierte wohl bald jedes Gebäude… 😉

Falls einem ‘mal die Schimpfwörter ausgehen sollten, findet man hier praktischerweise gleich ein paar Anregungen in Form von Schildern an den Häuserwänden… 😉 Nee, Spaß beiseite, dieser Wegweiser bezieht sich auf die beliebte Aussichtsplattform oben auf dem Domberg, von der aus man einen tollen Ausblick auf die Altstadt hat. Piiskop ist estnisch und bedeutet Bischof.

Ich spazierte also auf den Domberg und traf dort erneut auf eine russisch-orthodoxe Kirche, die 1894 bis 1900 erbaute Alexander-Newski-Kathedrale mit ihren weit sichtbaren Zwiebeltürmen. Sie wurde als Sinnbild für die Russifizierung Estlands aufgestellt, wodurch sie den Bewohnern Tallinns damals lange Zeit ein Dorn im Auge war. Heute gilt sie als ein weiterer touristischer Anziehungspunkt der Stadt. Zweifellos handelt es sich hier um ein interessantes und sehenswertes Gebäude, aber ich muss gestehen, dass mir die anderen drei Exemplare einer russisch-orthodoxen Kirche, die ich bisher gesehen hatte, allesamt besser gefallen hatten; diesem Bau fehlte irgendwie ein Art Persönlichkeit, finde ich…

Schließlich erreichte ich die bereits erwähnte Aussichtsplattform in der Oberstadt. Ich kann das, was in den Reiseführern versprochen wird, hier nur absolut bestätigen! Wer Tallinn besucht und hier oben nicht gewesen ist, dem ist das wohl Schönste leider entgangen! Von hier aus blickt man auch auf den Hafen und die vielen Fähren. Wenn man Glück hat, liegen gerade mehrere Kreuzfahrer am Terminal; Tallinn ist bei allen Ostsee-Kreuzfahrten ein absolut beliebtes Reiseziel.

Ein weiteres Wahrzeichen der Stadt, der auf dem Domberg gelegene Tallinner Dom.

So langsam taten mir nun die Füße weh, am frühen Nachmittag bezog sich der Himmel immer mehr und es wurde ziemlich kalt; hin und wieder gab es sogar einen kleinen Regenschauer. Ich trat daher den Rückweg an und machte eine etwas größere Pause im Wohnmobil.

Später brach ich dann zu meiner zweiten Erkundung auf, wieder zu Fuß; jetzt wollte ich mir Teile des Stadtzentrums in der Neustadt anschauen, in der übrigens flächendeckend superschnelles WLAN zur Verfügung steht!

Sehenswert ist auf jeden Fall das Rotermann-Viertel, hier stehen „wiederbelebte“ Industriegebäude neben hochmoderner Architektur auf engstem Raum zusammen; viele Geschäfte, Restaurants, Kinos beleben diesen Stadtteil, vor allem junge Leute halten sich gern dort auf.

Als ich nach etwa zwei Stunden wieder zum Hafen und zu meinem Wohnmobil zurückkam, hatte sich das Wetter inzwischen gebessert; ich genoss die friedliche Atmosphäre am Wasser und freute mich wieder einmal über einen abwechslungsreichen und sehr interessanten Tag! Und jetzt mache ich mir ständig Gedanken darüber, was ich denn nun eigentlich schöner fand, Riga oder Tallinn…

One thought on “Tallinn – Hotspot oder Mittelalter?”

  1. Hier hat meine Frau wieder ganz genau hingeschaut! Alte, gute Erinnerungen wurden wach. Schade, mit dem wegggang aus der FC sind auch viele Tallinn-Fotos aus meinem 'Ostsee'-Ordner verschwunden, u.a. Bilder von der Stadtmauer und den Wehrgängen… Gut, daß man sie wenigstens zu Hause noch hat.

    Noch heute amüsieren wir uns über das Ladenschild 'Käsitöö', bei dem wir erst nach FC-Recherche rausfanden, daß das 'Kunsthandwerk' heißt. Und 'üks, kaks, kolm' zählt meine Frau immer noch spaßeshalber ab ;-).

    Bernd

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