In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, aber am frühen Morgen gab es wieder einmal strahlend blauen Himmel und der Sturm hatte sich inzwischen in ein „laues Lüftchen“ verwandelt. Aus diesem Grund fuhr ich nach dem Frühstück noch nicht sofort weiter, sondern wiederholte meine Wanderung von gestern Abend noch ‘mal. Natürlich habe ich dabei wieder fleißig fotografiert; es ist doch immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich sich Landschaften bei unterschiedlichem Wetter präsentieren können! Auch bei diesem erfrischenden Morgenspaziergang habe ich nur zwei, drei Menschen in der Ferne gesehen, die offenbar schon so früh hier auf dem Parkplatz angekommen waren.

Für heute habe ich mir vorgenommen, die lettische Hauptstadt Riga zu erreichen, auf die ich schon sehr gespannt war; dazu hatte ich eine Strecke von etwa 160 km zu bewältigen, immerhin die bisher längste auf dieser Reise. Aber es war ja erst 08:00 Uhr (ich bin sehr früh aufgestanden…;-) und hatte jede Menge Zeit…

Die Strecke an der Küste der Rigaer Bucht entlang war sehr schön, vor allem war es natürlich ein Genuss, bei so schönem Wetter und so früh, wo noch niemand auf den beinen zu sein schien, unterwegs zu sein.

Etwa auf halber Strecke nach Riga befindet sich in einem Naturpark nahe der Küste der Enguresee (lettisch: Engures ezers), ein großer und flacher See mit angrenzenden Sumpfgebieten, dessen Schilfzonen ein perfektes Brutgebiet für verschiedene Wasservögel sind. Dort soll es mitten im See einen hölzernen Aussichtsturm geben, von dem aus man einen schönen Blick auf den See und auf die Vögel hat. Im Wald, durch den der Wanderweg zum Turm führt, lebt außerdem noch eine Herde Tarpans, eine Rückzüchtung einer bereits ausgestorbenen Pferderasse aus dem eurasischen Raum. Das alles wollte ich mir ‘mal genauer ansehen.

Mein Navi führte mich sicher an das Zwischenziel und ich konnte, nach der Zufahrt auf einer Schotterstraße, mein Fahrzeug auf einem Wanderparkplatz mitten im Wald, aber direkt am Wasser des Sees, abstellen. Zu meinem Erstaunen stand hier doch tatsächlich schon ein riesiges Wohnmobil mit holländischem Kennzeichen; ich konnte es kaum glauben! Die Besatzung habe ich allerdings nicht gesehen; als ich von meiner Wanderung zurück kam, war das Wohnmobil schon nicht mehr da.

Ich wanderte also zunächst am See entlang durch den lichten Wald, kam an einem Bootsverleih und an einer ornithologischen Station vorbei und passierte später einen kleinen Hof, auf dem Wildkühe gezüchtet werden.

Nach etwa einer Stunde erreichte ich schließlich die Stelle, wo ein kleiner Pfad in Richtung See und Aussichtsturm abzweigte und mich direkt zum Ufer brachte. Auch jetzt war das Wetter noch sehr schön, wenn auch recht kalt, es gab aber deutlich mehr Wolken als noch am Morgen.

Der Weg zum Aussichtsturm führte über unzählige kleine, teilweise sumpfige Inseln, die jeweils durch stabile Holzstege miteinander verbunden waren.

Oben auf dem Turm hatte man nun tatsächlich eine sehr schöne Sicht auf den See und den angrenzenden Wald, war allerdings auch wieder dem sehr kalten Wind schutzlos ausgesetzt.

Tatsächlich konnte ich aber auch sehr viele Wasservögel beobachten, obwohl einige Brutgebiete doch recht weit entfernt waren. Durch mein „langes“ Zoomobjektiv (bis zu 600 mm Brennweite) und die auf dem Geländer aufgelegte Kamera (um Verwackelungen zu reduzieren) war das aber kein großes Problem für mich.

Ich sah unter anderem Enten und Gänse aller Art, sehr viele Schwäne, Möwen und Seeschwalben, Löffler, Haubentaucher, Blässhühner und sogar zwei Kraniche.

Nachdem ich mich wieder auf den Rückweg gemacht hatte und bereits 15 Minuten im Wald unterwegs war, sah ich dann auch endlich ein paar der Wildpferde, zuerst einzeln, später auch in kleineren Gruppen; ich hatte mich kurz vorher schon mit dem Gedanken abgefunden, dass ich leider keine sehen würde, denn der Wald war natürlich riesig, und die Pferde haben sicher ‘was anderes zu tun, als neugierige Touristen mit Kameras zufrieden zu stellen… 😉 Sie waren gar nicht scheu und ließen sich durch meine Anwesenheit absolut nicht stören.

Jetzt war es aber Zeit, weiterzufahren, ich hatte schließlich noch einige Kilometer vor mir. Von nun an war es sehr interessant, die Veränderungen an Straßen, Landschaften und Ortschaften zu registrieren, die, je näher ich mich auf Riga zubewegte, immer deutlicher wurden. Der Verkehr nahm spürbar zu, und es gab jetzt eine Vielzahl von Abzweigungen und Kreuzungen, die von teilweise verwirrenden Wegweisern gesäumt waren! Gut, dass man heutzutage ein Navigationsgerät benutzen und sich auf ganz auf das Fahren im fremden Land konzentrieren kann.

Das Wetter spielte heute irgendwie verrückt; einmal strahlender Sonnenschein, dann ganz urplötzlich Regen und kurz darauf wieder Sonne. Und Schnee, jede Menge! Es hat etwa dreimal für jeweils 15 Minuten kräftig geschneit, sodass die Straße richtig weiß und natürlich auch sehr glatt wurde; und das mit meinen Sommerreifen…

Schließlich erreichte ich aber ohne Probleme Riga, die wunderschöne alte Hansestadt und Hauptstadt, mit 700.000 Einwohnern natürlich auch die größte Stadt des Landes. Hier gab sich das Wetter wieder „versöhnlicher“, und da es noch recht früh war, nahm ich mir vor, schon heute in die Alttadt zu fahren und mir dort alles anzusehen, wer weiß, wie das Wetter morgen sein würde…

Riga liegt am unteren Lauf der Düga (lettisch: Daugava); auf einer Insel an deren linkem Flussufer befinden sich gleich zwei Wohnmobilstellplätze, Riga City Camping und Riverside Camping, die ich mir beide ‘mal ansehen wollte. Der größere von beiden ist das Ziel der meisten Wohnmobilisten; er liegt etwas versteckt hinter einer gewerblich genutzten riesigen Halle, in der auch die Rezeption und die Sanitäranlagen untergebracht sind. Das Problem war allerdings, dass mein Reiseführer behauptete, dieser Platz hätte erst ab dem 15. Mai geöffnet. Das wollte ich eigentlich nicht so recht glauben, musste aber, als ich dort ankam, feststellen, dass es tatsächlich so war! Auf einem großen Plakat an der Straßenseite war genau dies zu lesen!

Schade, also weiter zum nächsten Platz, der etwa einen Kilometer weiter nördlich, fast an der Spitze der Insel, direkt in einem Industriegebiet liegt.

Hier war es noch leider schlimmer; ich fand nicht einmal die Einfahrt zu diesem Platz (später sollte ich feststellen, dass der Platz zwar noch existierte, aber ebenfalls erst im Mai geöffnet wurde; die Zufahrt lag hinter einem großen Tor, das aber verschlossen war).

Was nun? Ich fuhr zurück zum ersten Stellplatz, hinter die große Halle, um mir alles etwas genauer anzusehen. In einem kleinen Häuschen saß ein Wachmann, der die gesamte Anlage zu bewachen hatte. Die Zufahrt zu den einzelnen Stellplätzen war aber ungehindert zu erreichen und ganz hinten in der Ecke stand sogar ein zum Wohnmobil umgebauter Kastenwagen. Ich überlegte kurz und entschloss mich dann, mich einfach hier hinzustellen; ich benötigte ja weder Strom noch Duschen oder sonstige Annehmlichkeiten; hab’ alles dabei! Und sollte man mich später doch noch von hier „verjagen“, so würde ich schon irgendeinem Parkplatz in der Nähe finden, auf den ich mich stellen könnte.

Nachdem ich mich eingerichtet hatte und eine kleine Pause einlegte, verließ der besagte Wachmann sein Häuschen und kam auf mich zu. Oh je, ich befürchtete schon, dass dies nun wohl doch ein ziemlich kurzer Aufenthalt hier auf dem Platz werden würde, wurde dann aber angenehm enttäuscht!

Er sprach ein Englisch, das eher wie russisch klang, und ich hatte teilweise ziemlich große Mühe, ihn zu verstehen. Trotzdem konnte er mir aber klarmachen, dass es ok sei, hier zu bleiben, und dass der Inhaber des Stellplatzes hier irgendwo auf dem Gelände sein müsste und ich mich durchaus anmelden könne. Er erklärte mir sogar, wo die Duschen waren (ein ziemlich weiter Weg um die Halle herum in einem anderen Gebäude) und dass ich mein Fahrzeug auch an den Strom anschließen könne, wenn ich wollte!

Na, das waren doch ‘mal gute Nachrichten! Ich bedankte mich höflich und probierte das mit dem Strom sofort ‘mal aus; tatsächlich, die Steckdosen an den einzelnen Parzellen waren funktionsfähig! Ich ging daraufhin noch einmal zur Rezeption, fand aber alles verschlossen vor; auch dort war zu lesen, dass der Platz erst ab Mitte Mai öffnen würde. Nachdem ich auch den Chef nirgendwo finden konnte, vertagte ich diese Angelegenheit erstmal auf später, und machte mich bereit für meine erste Fahrradtour in die Stadt.

Noch auf der Insel, direkt am Ufer des Flusses, boten sich ein paar schöne Motive; ich genoss es in vollen Zügen, die markante Skyline der Stadt mit den vielen Kirchen, die ich schon von vielen Fotos her kannte, jetzt selbst live und mit eigenen Augen sehen zu dürfen!

Über eine große Brücke erreichte ich dann später die Altstadt Rigas, die seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Dort stellte ich mein Fahrrad ab und erkundete die Umgebung zu Fuß, um beide Hände zum Fotografieren frei zu haben und natürlich auch, um auch ‘mal in die vielen urigen Läden hineingehen zu können.

Ich traf zuerst auf die Petrikirche, dessen etwa 70 m hohe barocke Turmhaube mit ihrem offenen Abschnitten damals eine architektonische Besonderheit darstellte, und dessen Turmuhr nach alter Tradition nur einen Zeiger hat.

Weiter ging es zum zentralen Domplatz und zum gewaltigen Dom, der größten Kirche im gesamten Baltikum. Obwohl es auf dem Foto nicht so aussieht: der Platz war fast wie leer gefegt, was mich etwas gewundert hat! Lag‘s daran, dass heute Sonntag ist?

In der Nähe (hinter der Petrikirche) stieß ich urplötzlich auf diese vier „Genossen“, die mir natürlich äußerst bekannt vorkamen! Eine schnelle „Googelei“ ergaben, dass Riga als alte Hansestadt eine Partnerstadt von Bremen ist, und dass diese 1990 aufgestellte Skulptur der berühmten „Bremer Stadtmusikanten“ ein Geschenk Bremens ist.

In einem Bogen wanderte ich wieder zurück zum Rathausplatz, dem Zentrum der Altstadt, wo ich zu Beginn ja auch mein Fahrrad „angekettet“ hatte. Dort steht neben dem Rathaus (siehe nächstes Foto) das wohl bekannteste Gebäude Rigas, nämlich das so genannte Schwarzhäupterhaus.

Dessen gotischer Ursprungsbau mit der überaus schönen Renaissance-Fassade stammt aus dem Jahr 1334 und diente ab 1447 der kaufmännische Vereinigung der Schwarzhäupter als Versammlungsort. Zur „Compagnie der Schwarzen Häupter„, wie es richtig heissen muss, kann man an anderer Stelle Genaueres lesen…

Die astronomische Uhr zeigt neben der Uhrzeit auch Datum, Wochentag, Mondphasen und Tierkreiszeichen an, zu meinem Erstauen in deutsch!

Hier in Riga ist das Mittelalter ein besonders für Touristen gut gepflegtes Thema; Restaurants in diesem Stil sind sehr angesagt. Man steigt hier im Rozengrals in den Keller hinab, läßt sich bei Kerzenlicht von Angestellten mit mittelalterlicher Tracht bedienen und wird beim Essen von Minnesängern gequält… ähm… unterhalten!

Hier ein paar weitere Eindrücke von der hübschen Altstadt Rigas.

Ein bekanntes Gebäudeensemble, die so genannten „Drei Brüder„.

Ich möchte dieser alten Dame durchaus nicht zunahe treten, denn sie kann sich wahrscheinlich auch etwas viel Schöneres vorstellen, als mit ihrer Darbietung hier in der Kälte um ein paar wenige Cents zu bitten. Aber was sie da zum Besten gab, war wirklich nur allerschlimmstes „Katzengejammer“! Das Instrument hat, wie man sehen kann, auch schon bessere Tage erlebt, ihr „Einfingerspiel“ dagegen sicher nicht!

Gegen 18:00 reichte mir dieser erste Ausflug, und mir war mittlerweile auch recht kalt. Also holte ich mein Bike und fuhr denselben Weg wieder zurück zu „Hannelore“. Der Wachmann winkte mir, als ich an seinem Häuschen vorbeifuhr, jovial zu; von „Cheffe“ war immer noch weit und breit nichts zu sehen…

One thought on “Von den Urzeitpferden zu den Bremer Stadtmusikanten”

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