Ich bin heute tatsächlich schon um 06:15 Uhr aufgestanden, denn für den Morgen war Sonnenschein vorhergesagt; ich wollte noch einmal zum Berg der Kreuze laufen, um ein paar weitere Fotos zu machen. Außerdem hatte ich noch etwas anderes vor.

Mein Freund Hartmut, den ich schon seit mehr als 10 Jahre durch eine Fotocommunity im Internet kenne und mit dem ich auch über Facebook befreundet bin, ist ein großer Kenner und Liebhaber Litauens, und er hat dieses Land im Rahmen von Hilfsgütertransporten schon sehr häufig besucht. Wegen dieser Aktionen haben 2004 einige Vertreter eines Krankenhauses am Berg der Kreuze ein Holzkreuz eingesetzt, das an die humanitäre Hilfe aus Deutschland erinnern sollte. Ich hatte ihm gestern Abend gesagt, ich würde ‘mal versuchen, dieses Kreuz wiederzufinden…

Eigentlich hab’ ich gar nicht so richtig daran geglaubt, es zu finden, denn nach 13 Jahren würde es möglicherweise entweder bereits verrottet oder aber von danach eingesetzten Kreuzen so zugestellt sein, dass es praktisch unauffindbar sein würde. Aber ich hatte tatsächlich Glück; durch ein Zeitungsfoto, das damals von diesem Ereignis gemacht wurde, konnte ich ein paar andere, viel markantere Schilder direkt daneben ausmachen, und die habe ich tatsächlich wiedergefunden! Das gesuchte Kreuz war dann schnell gefunden. Es war noch intakt, aber die vielen Jahre bei Wind und Wetter waren ihm natürlich anzusehen. Während es 2004 noch direkt am Weg, in der ersten Reihe stand, befand es sich nun in der 5. oder 6. Reihe, hinter Hunderten anderer, neuerer Kreuze…

Ich machte ein Foto davon und schickte es Hartmut, der sich darüber sehr gefreut und es sofort auf Facebook eingestellt hat; wer möchte, kann sich beide Fotos, alt und neu, hier ansehen.

Nach diesem „Frühsport“ gab‘s erst ‘mal ein ausgiebiges Frühstück, danach fuhr ich los zu meinem heutigen Tagesziel, der zweitgrößten Stadt Litauens, Kaunas. Die Fahrt bei schönstem Wetter war sehr angenehm, trotz des dichten Verkehrs, der kurz vor Erreichen der mehr als 300.000 Einwohner zählenden Stadt einsetzte.

Laut Reiseführer sollte es dort zwei Campingplätze geben, die zur Auswahl standen, einer davon ganzjährig geöffnet, der andere erst ab dem 1. Mai (heute ist der 30. April!). Also fuhr ich den ersten an, stand dort aber leider vor verschlossenen Toren. Hhmm… was tun?

Ich entschied mich kurzerhand, zum anderen Campingplatz zu fahren; nachdem ich schon so viele Fehlinformationen aus meinen Unterlagen in Kauf nehmen musste, könnte die angegebene Öffnungszeit ja vielleicht auch falsch sein… 😉

Sie war es nicht! Aber als ich dort ankam und vor der Schranke hielt, kam eine junge Frau auf mich zu und begrüßte mich freundlich auf englisch. Sie sagte, der Platz würde zwar erst morgen öffnen, aber ich könne trotzdem schon heute bleiben; sie, ihr Mann sowie ihre Tochter hatten noch so einiges vorzubereiten, würden aber dann gegen 17:00 nachhause fahren und das Tor schließen. Aus diesem Grund gab sie mir während der kurzen Anmeldung einen Schlüssel für ein kleines Seitentor, damit ich die Stadt besuchen und, wenn ich wollte, eben auch nach 17:00 zurückkommen konnte.

Sowohl sie als auch ihr Mann sprachen sehr gutes Englisch, und wir unterhielten uns noch ein wenig über dies und das; auch hier wieder freute ich mich sehr über die Herzlichkeit und Offenheit, die mir von beiden entgegengebracht wurde! Der Platz war super; es fehlte an nichts, und der Betrag von 11,- EUR pro Nacht war ebenfalls völlig in Ordnung!

Nach einer kurzen Mittagspause „sattelte“ ich wieder einmal mein Fahrrad (was ja schon einige Tage ausruhen durfte!) und fuhr, zuerst an einem Badesee, danach am Fluss entlang, in Richtung Altstadt, die etwa 7 km entfernt war.

Hier traf ich zuerst auf die Ruine der Burg von Kaunas; sie wurde bereits 1361 erstmals erwähnt, oft zerstört und immer wieder aufgebaut.

Direkt daneben fand eine Art Volksfest statt, wo ein Musiker-Paar die Besucher mit flotten und lauten Rhythmen erfreute; es gab allerhand Stände mit Kunsthandwerk, Trödel und auch „Fressalien“.

Bevor ich die Altstadt zu Fuß erkundete, hatte ich noch ein anderes Ziel „im Visier“, das ebenfalls mit meinem schon oben erwähnten Freund Hartmut zu tun hatte, nämlich die riesige Kirche Christi Auferstehung, eine römisch-katholische Basilika, die 1940 gebaut, aber erst 2004 eingeweiht wurde.

Hartmut hatte 2014 ein Foto bei Facebook gepostet, das einen Blick auf Kaunas und vor allem auf eine andere Kirche, die des Erzengels Michael, zeigte, und dazu gefragt, von wo er dieses Foto wohl aufgenommen hätte! Ich hatte damals sofort im Internet recherchiert und die Lösung gefunden: Die Auferstehungskirche besitzt eine riesige Aussichtsplattform, die man mit einem Aufzug erreichen kann und von der aus man einen wunderschöne Ausblick auf die Stadt hat! Und nun, da ich schon ‘mal hier war, wollte ich natürlich nicht nur diesen Ausblick genießen, sondern auch ein ähnliches Foto machen… 😉

Danach fuhr ich aber endlich direkt zurück in die Altstadt, wo ich das Fahrrad wegen der holprigen Kopfsteinpflaster meistens schieben musste.

Auf dem großzügigen Rathausplatz fiel mein Blick sofort auf eine sehr hübsche Kirche, die aber gar keine war! Man glaubt es kaum, aber das nächste Foto zeigt das Rathaus von Kaunas! Sein Turm ist 53 m hoch, und wegen seiner ungewöhnlichen Form wird das Gebäude auch „Weißer Schwan“ genannt. Es dient heute hauptsächlich als Standesamt („Hochzeitspalast“).

In einem der vielen Cafés legte ich eine kleine Verschnaufpause ein und gönnte mir einen leckeren Eisbecher und einen Cappuccino. Danach ging‘s weiter in die Fußgängerzonen und durch weitere kleinere Straßen.

Nun wurde es langsam Zeit für den Rückweg. Ich fuhr über eine Brücke nach Süden, dann am Fluss entlang nach Westen in Richtung des Campingplatzes.

In den 930 km langen Nemunas (früher Memel), der südlich von Klaipeda in das Kurische Haff übergeht, mündet direkt hier in Kaunas die Neris, die etwa 500 km Länge aufweist und in Weißrussland entspringt. Genau an diesem Zusammenfluss, an der kleinen Landspitze zwischen den beiden Flüssen, predigte 1993 Papst Johannes Paul II, als er Litauen besuchte.

Als ich auf dem Campingplatz ankam und das verschlossene Eingangstor sah, wurde mir blitzartig abwechselnd heiß und kalt; der Schlüssel für das kleine Seitentor, den mir die junge Frau vorhin gegeben hatte, lag wohlbehütet im Wohnmobil! Ihn mitzunehmen, ist mir einfach nicht eingefallen…

Au weia, was nun???

Ich konnte die Betreiber natürlich anrufen, aber das war mir irgendwie peinlich. Ich inspizierte den etwa 2 m hohen Metallzaun, der tatsächlich lückenlos rundum den gesamten Platz führte und der vor allem nagelneu und sehr stabil wirkte. Die Spitzen der einzelnen, senkrechten Metallstäbe ragten etwa 5 cm oben heraus und sprachen eine ganz eindeutige Sprache: „Klettere hier ja nicht ‘rüber, du wirst es bereuen“.

Da Zäune aber nicht sprechen können, wagte ich es trotzdem; ich holte mein Fahrrad, stellte es am kleinen Tor gegen den Zaun und stieg dann auf den Gepäckträger und den Sattel (hoffentlich geht das gut…). Nun konnte ich mich noch etwas hochziehen (ich hatte wegen der spitzen Metallstäbe Handschuhe angezogen, die ich immer dabei habe) und das rechte Bein über den Zaun schwingen. Irgendetwas tat plötzlich ziemlich weh! Es nützte aber nichts, nun musste ich hinüber! Nachdem ich das zweite Bein auch endlich auf der anderen Seite hatte, musste ich mich langsam herunterlassen; die Füße hatten allerdings nirgendwo richtigen Halt. Ich kam trotzdem einigermaßen glücklich unten an (hoffentlich hat mich niemand dabei beobachtet), lief zum Wohnmobil und holte den Schlüssel. Halleluja, das war geschafft!

Während ich mich im WoMo bei einem winzigen „Belohnungs-Bierchen“ erholte, fiel mir wieder der Schmerz von vorhin ein, und ich stellte mit einem neuen Schrecken fest, dass meine Jeans einen schlimmen Riß abbekommen hat! Nun trägt man heutzutage ja ganz gerne Jeans mit Löchern, aber genau im Schritt???

Gleichzeitig kam mir aber auch die Erkenntnis, dass ich hier wirklich sehr viel Glück hatte! Ein paar Zentimeter weiter, und ich würde nun im Mezzosopran singen… 😉

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